Gestische Malerei – das Malexperiment
Der Maler konstruiert nicht mehr fiktiv seine Bildformen von außen her, sondern bewegt sich während seiner Handlung im Bild als Lebensraum. (K.R.H. Sonderborg, Stuttgarter Professor, gibt die Uhrzeiten als Bildtitel an, Videoaufnahmen laufen häufig mit).
Der amerikanische Abstrakte Pollock hängte die Leinwand, auf der er „agierte“, nicht vor sich an die Wand, sondern breitete sie auf dem Boden aus, wollte er sie doch betreten können und von allen Seiten an sie heran.
In manchen Bildern Sonderborgs zeugen sogar Schuhsohlenabdrücke von dieser neuartigen Bildbeziehung, die als gestischer Tanz mit Farbspuren im Bild erlebbar wird.
Diese Steigerung der Dimensionen im Bildraum verursacht einen Bedeutungswandel, der bei den amerikanischen Expressionisten am klarsten heraustritt. Weder die Maler noch die Zuschauer können sich im voraus auf einen bestimmten Punkt festlegen.
Roy Lichtenstein wagt es 1966, einen GELB-GRÜNEN PINSELSTRICH zu malen, so der Bildtitel, in Öl auf 2 x 4 m großer Leinwand (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum).
Schon 1915 spricht Mondrian von seiner Hauptaufgabe „durch Veränderung im Bildraum“, der in „rechten Winkeln“ verankert ist, eine lebendige Bewegung zu schaffen.
Die Farbe als erlebtes Material, ob schonungslos ins Bild gesetzt, geträufelt, geschlagen, darf hässlich sein – Dubuffet nennt es „Art brut“: Er verlangt vom Betrachter Abscheu aufzugeben und sich auf andere Tiefen einzulassen.
Künstler wie Bissier und de Kooning beobachteten, wie in der chinesischen Zen- Kalligraphie die Dynamik der Geste sich unmittelbar in einen Schwung in die Bild-Form niederschlug.
Virtuos, alla prima, wird die abstrakte Bewegungsspur geduldet. Dahinter allerdings steht eine jahrelange Übung, diese Impulse des Unbewussten zu erreichen und automatisch niederzuschreiben.